„Meinung am Mittwoch“ zu Bevormundung, Veggie-Day und Verzicht

Ich meine, dass die Bevormundungsdebatte um den Veggie-Day uns nicht von unserem Ziel einer gerechteren, nachhaltigeren Welt abbringen darf. Um als Umweltpartei glaubwürdig zu bleiben, müssen wir auch über Verzicht reden.

Seit dem Veggie-Day wird uns Grünen mehr denn je vorgeworfen, wir seien die arrogante, bevormundende Verbotspartei. Wir wüssten besser, wie Menschen zu leben haben, und wollten das allen anderen auch aufzwängen. Spätestens nach der Bundestagswahl wird nun in der innerparteilichen Aufarbeitung stark zurückgerudert, manche fordern, die Grünen zur Partei der Freiheit zu machen.

Dabei sind wir das gesellschaftspolitisch längst. Wir müssen uns stattdessen fragen, was Freiheit umweltpolitisch bedeutet. Ich, als wohlhabender Deutscher, habe dort Freiheiten, die viele durch unser Wahlprogramm in Gefahr gesehen haben. Ich kann tonnenweise Fleisch aus Massentierhaltung kaufen, mit dem Billigflieger um die Welt reisen, meinem Konsum sind kaum Grenzen gesetzt.

Aber da, wo ich diese Freiheiten nutze, nehme ich sie anderen. Freiheit hat da Grenzen, wo andere von meiner Handlung betroffen sind. Wir als Grüne haben mehr als andere Parteien realisiert, dass wir auf Kosten anderer leben. Wir haben festgestellt, dass unser Lebensstil nicht mit unseren Zielen vereinbar ist. Deshalb darf der Ruf nach Freiheit uns jetzt nicht wegführen von unserem Ziel, die Gesellschaft nachhaltiger und gerechter zu machen. Auch wenn das dazu führt, dass wir etwa offen propagieren müssen, weniger zu reisen und zu konsumieren. Mit dem Green New Deal, der in diesem Wahlkampf glücklicherweise weniger stark im Vordergrund war, tun wir viel zu häufig so, als könnten wir einfach so weiter machen, indem wir nur ein paar Industriezweige grün anmalen. Eine ernsthafte Debatte über Verzicht führen wir kaum, auch auf Kosten unserer Glaubwürdigkeit.

Bleiben wir beim Beispiel Fleisch: Keiner von uns bezweifelt, dass wir zu viel Fleisch essen – unabhängig davon, ob das aus Massentierhaltung oder von Bio-Höfen stammt. Wenn wir den Veggie-Day jetzt nicht mehr wollten: Wo könnten wir dann noch ansetzen, um unseren Alltag so zu verändern, dass wir wenigstens etwas nachhaltiger leben? Es gibt ja auch andere Vorschläge: Etwa eine Besteuerung von Fleisch, um die Verursacher für die externen Kosten der Tierhaltung aufkommen zu lassen. Aber landen wir nicht mit jedem Versuch, unseren Fleischkonsum zu reduzieren, in der gleichen Bevormundungsdebatte? Wichtig ist, an dieser Stelle nicht einfach auszusteigen.

Mein Eindruck ist: Wie auch immer wir das Thema angehen, wir müssen uns bewusst sein, dass wir unseren Lebensstil verändern müssen. Und „wir“ sind eben nicht nur wir Grünen, sondern wir alle, die über unsere Verhältnisse leben. Hier einen Weg zu finden, der die Bevölkerung nicht vor den Kopf stößt, wird eine große Herausforderung für uns sein. Aber im Zweifel müssen wir auch zu unbequemen Wahrheiten stehen. Wir müssen offen und ehrlich ansprechen, wo Verzicht unumgänglich ist, sonst machen wir uns als Nachhaltigkeits- und Umweltpartei unglaubwürdig.

Dieser Text ist im Meinungsblog „Meinung am Freitag“ auf der Website der Bremer Grünen erschienen.