Vorgestern wurde endlich die seit fünf Jahren überfällige Fortschreibung des Bremer Klimaschutz- und Energieprogramms, kurz KEP, veröffentlicht. Davon habe ich nicht etwa per Pressemitteilung des Senats oder Newsletter erfahren, auch nicht durch eine breite Diskussion im Weser-Kurier oder bei buten un binnen, sondern durch einen einfachen Link in der Liste der Drucksachen des Plenardienstes. Ist es bislang überhaupt jemandem aufgefallen? Dabei ist das KEP das zentrale Instrument des Bremischen Klimaschutz- und Energiegesetzes (BremKEG). Der Zeitpunkt der Veröffentlichung kurz vor Weihnachten erinnert aber wohl (hoffentlich) nur zufällig an Trump und seine Veröffentlichung zum Klimawandel am “Black Friday”. Dass die Bremer Klimaschutzziele dramatisch verfehlt werden, ist zumindest längst bekannt. Wir erreichen wohl nur 13 bis 16 Prozent Emissionsreduzierung bis 2020 gegenüber 1990, statt der gewünschten 40 Prozent.
Aber was steht nun drin im lang ersehnten KEP? Die erste Kuriosität gleich zu Beginn: Es gibt darin zwei Szenarien – eines, welches die bisherigen Klimaschutzmaßnahmen weiterführt – und eines, in dem überhaupt kein Klimaschutz im Land Bremen betrieben wird. Ein Szenario, das die Klimaschutzanstrengungen intensiviert, und zwar möglichst dramatisch, wie es ja nötig wäre, fehlt dagegen. Dabei ist es auch Aufgabe der KEP-Fortschreibung, zu beschreiben, was getan werden muss, um die Lücke zum Klimaschutzziel zu schließen!
Der Maßnahmenteil liest sich stattdessen wie „Weiter so!“ und keinesfalls wie ein radikales Umsteuern mit neuen Ideen. Wo steht, dass Mittel für Gebäudesanierung oder die Klimaschutzagentur erhöht werden müssten? Oder dass Maßnahmen des Fuß- und Radverkehrs aus dem Verkehrsentwicklungsplan bevorzugt umgesetzt werden sollten? Dass Anstrengungen auch in anderen Bereichen intensiviert werden müssten?
Gut gefallen mir die beiden eher institutionellen Maßnahmen, die im KEP aufgelistet werden: ein Kofinanzierungsfonds für Klimaschutzmaßnahmen, um zukünftig leichter und schneller von Fördermitteln zum Beispiel aus dem Bund profitieren zu können, indem notwendige Planungskosten und Eigenanteile unkompliziert bereitgestellt werden können. Und der Instrumentencheck Klimaschutzpotenzial, der Politiken des Senats stets auf ihre Klimawirkung prüft. Zwei wichtige Instrumente, die nun schnell umgesetzt werden sollten. Ausreichen wird das aber nicht.
Auch in anderer Hinsicht ist die KEP-Fortschreibung kurios. Im Text sind zum Beispiel immer wieder Verweise darauf zu finden, was im gerade ablaufenden Jahr 2018 alles passieren soll – das zeigt, wie alt der Entwurf ist, der erst jetzt veröffentlicht wurde. Die Krönung dessen ist, dass unter Abschnitt 5.7 „Ausblick auf die Vorarbeiten für den Zeithorizont 2030“ erklärt wird, das Bremer Klimaschutzziel für 2030 werde in der “nächsten Fortschreibung bis zum 31.12.2018 festgelegt”. Die Deadline 31.12.2018 entstammt dem BremKEG und muss entsprechend eingehalten werden – dass in den nächsten zehn Tagen gleich noch eine zweite KEP-Fortschreibung zu erwarten ist, ist allerdings unwahrscheinlich.
Dass das Klimaziel für 2030 noch nicht steht, liegt wohl auch daran, dass derzeit parallel an der Bilanzierungssystematik gearbeitet wird. Und auch wenn dieses Thema trocken ist, ist es nicht unerheblich. Eine Bilanzierung nur der direkten Treibhausgasemissionen und der indirekten Emissionen aus der Stromerzeugung, wie es in Bremen gemacht wird, greift immer irgendwie zu kurz und führt zu Effekten in der Bilanz, die Vergleiche erschweren oder kuriose Maßnahmen als sinnvoll erscheinen lassen. Ob Bremen beispielsweise weniger Müll verbrennt oder die Stahlwerke dicht machen, trägt in hohem Maße zur CO2-Bilanz Bremens bei, aber in weitaus geringerem Maße zum tatsächlich von Bremer*innen verursachten CO2-Fußabdruck oder zum Klimaschutz. Der Vorschlag der Klimakonferenz 2016 unter dem Titel „Bitte in Niedersachsen tanken“ (kein Witz) wurde deshalb glücklicherweise als Quatsch zurückgewiesen.
Die unvermeidbaren Herausforderungen in der Bilanzierungssystematik erschweren zum einen die Bewertung des Klimaschutzerfolgs auf Basis der berichteten CO2-Zahlen, verschließen aber andererseits womöglich auch den Blick auf Klimaschutzmaßnahmen, die in der Systematik nicht abgebildet werden. Das betrifft insbesondere den Bereich Konsum mit all seinen indirekten Emissionen. War das der Grund, warum das Thema Konsumverhalten bei der Klimaschutzagentur energiekonsens ab 2015 aufgegeben wurde? Dass eine Einschränkung kommerzieller Werbung nicht als Idee auftaucht? Dass bei der klimafreundlichen Beschaffung das hoch klimarelevante Thema Fleischkonsum überhaupt nicht erwähnt wird? Dass das Durchsetzen der Parkverbote auf Gehwegen zwar mit Zeithorizont 2015 im Maßnahmenplan stand, aber zweifellos nicht realisiert wurde?
Dabei wurde das Thema sogar bei der Bremer Klimaschutzkonferenz 2016 auf die Agenda gebracht. Als Maßnahme E4 wird beispielsweise benannt: “Verhaltensänderung von unten, Graswurzelbewegung, Bottom-up, Happinessindex”. Im KEP wird dazu nur trocken kommentiert: “Der Vorschlag wird im Rahmen der Fortschreibung des KEP 2020 nicht weiter verfolgt. Begründung: Der Vorschlag ist nicht hinreichend konkretisiert.” Dass der Senat auch selbst zur Konkretisierung beitragen könnte, war wohl keine Option.
Nach Lektüre der 443 Seiten langen PDF macht sich Ernüchterung breit. Die KEP-Fortschreibung liefert keine großen neuen Ideen, keine Fahrpläne für radikalen Klimaschutz, die die Handlungslücke merklich schließen würden. An welchen Stellen das schiefgelaufen ist, weshalb bei der Klimakonferenz bestimmte Themen gar nicht auf den Tisch kamen und wieso die Gutachter*innen von Prognos keine weiteren Maßnahmenvorschläge unterbreitet haben, kann ich nicht beurteilen. Aber fest steht: Die lang ersehnte KEP-Fortschreibung ist kein Weihnachtsgeschenk für den Klimaschutz, sondern eine Enttäuschung. Die Klimaschutzpolitik in Bremen muss massiv forciert werden, fangen wir 2019 damit an.