Warum die Grünen beim Thema Tierhaltung die falsche Debatte führen

Statt ein Label wie Neuland als „artgerecht“ zu propagieren, sollten wir darüber reden, ob wir weiterhin systematisch Tiere ausbeuten wollen, um Nahrungsmittel für unseren menschlichen Genuss zu produzieren.

 

Diese Woche wurde in der Stadtbürgerschaft der Bürgerantrag des Agrarpolitischen Bündnisses Bremen behandelt. Das Bündnis hat ein unterstützenswertes Ziel: weniger Tierquälerei in unserer Nahrungsmittelproduktion. Es fordert, die öffentliche Beschaffung auf Produkte aus „nachweislich artgerechter Tierhaltung“ umzustellen.

Aber was ist „artgerechte Tierhaltung“? Das Bündnis selbst und die Grünen-Fraktion sind sich einig: Artgerecht ist zum Beispiel, was ein Neuland-Siegel hat. In der Masthähnchenzucht bedeutet das etwa, dass ein Huhn auf 0,1 m² Stallfläche lebt. Zusammen in einem Stall mit bis zu 4.799 anderen Hühnern. Nicht lange allerdings, denn nach 56 Tagen wird es geschlachtet. Diese Art der Aufzucht „artgerecht“ zu nennen, ist absurd.

Genau das tun wir Bremer Grünen aber. Die Idee, Neuland bedeute „artgerecht“, stammt aus dem Vergleich der Richtlinien mit den Zuständen der konventionellen Tierzucht. Aber seit wann taugt die Tatsache, dass es etwas noch Schlimmeres gibt, als Begründung dafür, dass eine Sache in Ordnung ist? Nur, weil es in der konventionellen Haltung Zustände gibt, die noch schlimmer sind, ist Neuland doch noch lange nicht okay.

Wenn wir Neuland als „artgerecht“ bezeichnen und uns damit über die Quadratzentimeter unterhalten, die den Tieren in ihren kurzen Leben zur Verfügung stehen, bleiben wir an einer Stelle der Debatte zurück, die nicht nur die Tierethik, sondern auch eine immer größer werdende Gruppe von Menschen längst hinter sich gelassen hat. Menschen, die sich vegan ernähren und für Tierbefreiung eintreten, weil sie nicht davon ausgehen, dass kosmetische Korrekturen an einem System der Tierausbeutung genug sind. Weil sie der Meinung sind: Artgerecht ist nur die Freiheit.

Die Frage, die wir Grüne stellen sollten, ist also: Kann es überhaupt so etwas wie „artgerechte Nutztierhaltung“ geben? Ist es artgerecht, Tiere nach einem Bruchteil ihrer Lebenserwartung zu töten? Ist es artgerecht, Milchkühe einmal im Jahr zu besamen, ihnen zunächst das Kalb wegzunehmen und dann ihre Muttermilch? Man muss die Praktiken der sogenannten Nutztierhaltung ja nicht mal ablehnen, um festzustellen, dass der Begriff „artgerecht“ und eine kommerzielle Tierhaltung zur Lebensmittelproduktion nicht zusammenpassen.

Natürlich ist es in der Politik auch sinnvoll, Kompromisse zu schließen. Und ein sinnvoller Kompromiss mit der SPD kann selbstverständlich sein, Neuland als Mindestkriterium für Tierprodukte in der öffentlichen Beschaffung zu definieren. Aber bitte nicht unter dem Label „artgerecht“.

Es waren nicht die Grünen, die den Begriff ins Spiel gebracht haben. Aber es sollten die Grünen sein, die darauf aufmerksam machen, dass die Debatte um Tierhaltung nicht zwischen 0,04 m² und 0,1 m² Stallfläche pro Huhn geführt werden sollte, sondern zwischen Fortbestehen und Beendigung der Ausbeutung von Tieren.

Dieser Text ist als „Meinung am Freitag“ auf der Website der Bremer Grünen erschienen.