In den letzten Tagen wurde viel über Lützerath geschrieben. Ich habe mich auch dazu geäußert, bewerte den Kompromiss zum vorgezogenen Kohleausstieg in NRW kritisch.
Ich habe aber auch einige Kommentare gelesen, die ganz grundsätzlich Kritik an Kompromissen in der Klimapolitik üben, auch an „guten“ Kompromissen. Als Parlamentarier, der selbst ständig Kompromisse machen muss, will ich erklären, warum ich solche Kritik richtig finde – und trotzdem dafür werbe, auch in der Klimapolitik Kompromisse einzugehen. Ganz grundsätzlich – dies ist kein Text über Lützerath.
Denn es ist in der Tat ein wesentliches Problem der Klimapolitik, dass ständig neue Kompromisse gemacht werden. Das Pariser Klimaschutzabkommen war der erste große Kompromiss, zwischen Industrie- und Inselstaaten, und er sollte der endgültige sein. Das ist völkerrechtlich verbindlich beschlossen. Kompromisse, die den Rahmen von Paris verlassen, darf es eigentlich nicht geben.
In der Realität scheitert das schon daran, dass wohl keine Partei mit einem mit Klimagerechtigkeit und dem 1,5-Grad-Ziel kompatiblen Programm ins Rennen geht. Ich kenne auch außerhalb von Parteiprogrammen keinen solchen Maßnahmenkatalog, er wäre wohl ziemlich radikal. Zwar ist schon hier Raum für Diskussion – allein die Frage, was 1,5-Grad-kompatibel ist, ließe sich seitenlang diskutieren, und was eigentlich „klimagerecht“ ist, ebenso. Aber das Grundproblem bleibt.
Aber nehmen wir mal an, die Grünen würden mit einem Wahlprogramm in Koalitionsverhandlungen gehen, das gerade noch so für 1,5 Grad reicht. Egal, ob mit SPD, LINKEN, CDU oder FDP verhandelt würde, dort stünde wohl weniger Klimaschutz im Programm. Und da beginnt das Dilemma.
Dass in der Klimapolitik eins zu eins das Wahlprogramm der Grünen abgeschrieben wird, dürfte ausgeschlossen sein (auch wenn wir 2019 in Bremen nah dran waren). Darauf zu beharren, dürfte auch schnell die Koalitionsverhandlungen beenden. Dann würde es heißen, die Grünen wären nicht kompromissfähig, „ideologisch“ und damit nicht regierungsfähig. Und die Grünen würden in der Opposition bleiben und zugucken, wie weiterhin viel zu wenig Klimaschutz passiert.
Sobald allerdings auch nur ein Kompromiss gemacht wird in Richtung der anderen Parteien, also Richtung weniger Klimaschutz, ist das 1,5-Grad-Ziel hin. Und damit Kritik begründet, die sagt, das Pariser Klimaabkommen sei gebrochen, und dafür die Grünen jetzt mitverantwortlich.
(Mitverantwortlich ist dabei etwas anderes als verantwortlich: Verantwortlich sind natürlich erstmal die Parteien, die nicht selbst mit 1,5-Grad-fähiger Politik in die Verhandlungen gegangen sind.)
Was folgt daraus? Keine Kompromisse in der Klimapolitik mehr bilden, um sich nicht mitverantwortlich zu machen? Das schließt Regieren aus, und ich kann nicht erkennen, wo das gegenüber einer Regierungsbeteiligung, die wenigstens in weiten Teilen deutlich zum Klimaschutz beiträgt, vorteilhaft wäre. Kompromisse sind für mich also auch in der Klimapolitik richtig.
Die Welt der Kompromisse ist aber komplizierter: Eine angemessene Bewertung von Klimapolitik kann dann immer nur anhand der konkreten Situation und Ausgestaltung jedes Kompromisses vorgenommen werden. Also: Hat man sich in Koalitionsverhandlungen über den Tisch ziehen lassen, oder alles rausgeholt, was rauszuholen war? Ist ein Deal (wie z. B. mit RWE) das Maximum dessen, was in der Situation möglich war, oder wäre mehr drin gewesen?
Diese Fragen sind von außen schwer zu beantworten. Die Einschränkung „was in der Situation möglich war“ lässt immer etwas Vages und Raum für Debatten übrig. Denn wer kennt schon alle Faktoren, unter denen der Kompromiss gebildet wurde? Zu denen gehört der öffentliche Druck, etwa der Klimabewegung, aber auch interner Druck, die Bereitschaft der Koalitionspartner, sich zu bewegen, oder Sachzwänge, die der Öffentlichkeit vielleicht gar nicht bekannt sind. Sogar diejenigen, die einen Kompromiss selbst verhandeln, wissen meist nicht, ob sie das Maximum rausgeholt haben.
Im Nachhinein kann es sein, dass neue Informationen bekannt werden, die zeigen, dass doch noch mehr drin gewesen wäre, oder sich eine Annahme, auf deren Basis der Kompromiss geschlossen wurde, als falsch herausstellt. Das führt dazu, dass es immer wieder leicht möglich ist, Kompromisse rückblickend kritisch zu bewerten. Umgekehrt allerdings kann man sich nie sicher sein, dass man „alles rausgeholt hat“ – die Verhandlungspartner*innen werden es einem nicht verraten.
Solange ein Kompromiss aber nur dann ein guter Kompromiss ist, wenn er das Maximum herausholt, kann es nur zwei Arten von Kompromissen geben: schlechte – und solche, bei denen man sich nicht so sicher ist. Keine dankbare Situation für diejenigen, die Kompromisse eingehen müssen. Ich werbe daher (nicht ganz uneigennützig) grundsätzlich für Milde im Umgang mit denen, die Kompromisse bilden müssen.
Milde heißt natürlich nicht, dass schlechte Kompromisse nicht kritisiert werden sollten, vor allem, wenn sie aufgrund mangelnden Willens schlecht sind.
Nehmen wir aber mal an, man wüsste, dass ein Kompromiss das absolut Beste war, das jemand in einer bestimmten Situation herausholen konnte. Selbst dann wäre es richtig und wichtig, für mehr Klimaschutz auf die Straße zu gehen. So tief, wie wir in der Klimakrise stecken, ist der Einsatz für mehr Klimaschutz immer richtig. Weil jedes Zehntelgrad zählt. Und weil die Klimabewegung zurecht einfordern kann, dass die Verpflichtung zum Pariser Klimaschutzabkommen eingehalten wird.
Selbst beim perfekten Kompromiss wären laute Proteste für mehr Klimaschutz also immer richtig. Die Kritik sollte aber dann natürlich diejenigen treffen, die gebremst haben, nicht diejenigen, die mehr gewollt hätten und das Beste rausgeholt haben.
Weil man aber eben nie weiß, ob ein Kompromiss „perfekt“ war, wird es immer auch Raum für Kritik an denen geben, die alles gegeben haben für einen guten Kompromiss.
Paradoxerweise kann das sogar den Kritisierten helfen: Ich kenne das aus politischen Verhandlungen, in denen meine Verhandlungsposition stärker war, wenn ich glaubhaft machen konnte, dass ich sonst von für mich bedeutenden Dritten kritisiert werde („Ihr wisst, ich kann das nicht mitgehen, sonst bekomme ich Ärger mit der Grünen Jugend.“).
Ich weiß aber auch, wie schmerzhaft es sein kann, wenn man glaubt, alles gegeben zu haben für den Klimaschutz, und trotzdem dafür kritisiert wird.
Für dieses Dilemma kenne ich keine Lösung. Diese Geschichte von Kompromissen in der Klimapolitik hat kein Happy End. Was bleibt? Ein Plädoyer für gegenseitiges Verständnis.